»Essbares Grünzeug von den Dächern Berlins« — Handmade Kultur

Neue Agrarmethoden, Gentechnik, künstliche Bewässerung? Für die drei von »Frisch vom Dach« sind diese Ansätze nicht das Nonplusultra. Sie planen die größte Öko-Dachfarm der Welt und wollen 2013 ihren ersten Salat ernten.

Geruch von kaltem Rauch und Abgasen stülpt sich wie eine Käseglocke über die einbetonierte Landschaft. Dicke bleigraue Wolken hängen überm Berliner Südkreuz. Von der Autobahn führt eine vierspurige Straße ab in Richtung der alten Mälzerei. Hier sollen, geht es nach dem Willen der Berliner Echternacht, vom Böckel und Leschke, zukünftig tonnenweise Kohlrabi, Tomaten, Salat, Fisch und Kräuter produziert werden. Und zwar auf einer der größten »Aquaponicfarmen« weltweit. Damit folgen die Unternehmer einem globalen Trend, der Stadt und Ackerbau miteinander vereint: »Urban Farming«, urbane Landwirtschaft – ein Trend aus New York, der dort bereits ein Hype ist.

Jeder Mensch hinterlässt einen ökologischen Fußabdruck, an dem wir sehen, wie viel Fläche wir benötigen, um sämtliche Energie und Rohstoffe für das tägliche Leben aufzubringen. Demografischen Berechnungen zufolge sollen 2050 mehr als neun Milliarden Menschen auf der Erde leben, zunehmend in großen Ballungszentren. »Wenn wir Deutschen so weitermachen wie bisher, brauchen wir bald zwei Erdkugeln; zurzeit leben wir auf Kosten anderer«, sagt Christian Echternacht, der Strategieexperte von »Frisch vom Dach«. Zusammen mit seinen Kollegen Karoline vom Böckel und Nicolas B. Leschke plant er nun die Umsetzung einer zutiefst grünen Idee.

Nachhaltiges Wirtschaften und ganzjährige ökologische Landwirtschaft mit neutraler CO²-Bilanz – das ist ihre Vision. Echternacht sagt: »Frank war unsere Initialzündung. Das Feuer in uns, nachhaltig zu denken, hat aber schon vorher gebrannt.« Chef der Malzfabrik, Frank Sippel, der 2005 mit Investoren zusammen das Gelände kaufte, auf dem die Dachfarm entstehen soll, kam vor fünf Jahren nach Berlin und mit ihm die Idee, einen Ort für Kreative und Neugierige zu gestalten, der auch »Umweltbewusstsein« ausbildet.

Hier, auf dem Gelände der Malzfabrik, konnten die drei Unternehmer das Aquaponicsystem bereits sechs Monate lang testen – in einer Miniausführung, der Containerfarm namens »Rostlaube«. »Vor einem halben Jahr haben wir die Rostlaube erworben, zum Kennenlernen und als Inspirationsquelle«, berichtet Leschke, stellvertretender Geschäftsführer der Malzfabrik. Der 33-Jährige, der International Business Management studiert hat, ist bei »Frisch vom Dach« für Planung, Bau und Business Development zuständig. Erfunden wurde der Gewächshauscontainer übrigens von Forschern der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Zürich, die schon seit 1999 an der Aquaponicmethode arbeiten.

Und auch wenn die Rostlaube, ein ausrangierter Schiffscontainer, ihren Namen weghat, nach Rost sieht hier gar nichts aus. Die erste Containerfarm Berlins steckt in einem frischen weiß-grünen Design. Angebaut wird natürlich im Container. Dort steht ein Fischbecken und darauf ein Gewächshaus. Die Pflanzen wachsen nicht wie üblich in Erde, sondern im Wasser. Dem Becken werden Sauerstoff und Biofischfutter hinzugefügt. Fischaufzucht, Gemüse- und Kräuteranbau auf engen Raum und mit minimalem Wasserverbrauch wird dank Aquaponic möglich.

Kinder haben die drei noch keine, dennoch wollen sie sich für kommende Generationen starkmachen. Leschkes Einstiegszitat ins Thema ist: »Wir fahren unser Klima gegen die Wand.« Echternacht sagt weiter: »Wir möchten gerne etwas bieten, eine Welt hinterlassen, die nicht ganz so verrückt ist wie jetzt, sondern die nachhaltig ist.«

Derzeit kostet so eine kleine Containerfarm circa 30000 Euro. Umsatz macht die Rostlaube noch kein, jedenfalls keinen nennenswerten. Einen Sommer lang naschen Besucher mal hier und da eine selbst geerntete Tomate, wird unter Kollegen ein frisch geernteter Salat oder Kohlrabi zum gemeinsamen Abendessen verschenkt. »Unsere Farm in dieser ersten Version ist noch nicht wirklich wirtschaftlich. Das Teil ist zu teuer für den Ertrag, den es später erbringt. Hier geht es mehr um ein Pilotprojekt. Langfristig gesehen werden solche Aquaponicfarmen natürlich Gewinn abwerfen«, sagt Echternacht. Gerade in trockenen Gebieten könne damit ein Meilenstein für nachhaltige Ernährung gesetzt werden. »Länder wie Ägypten oder die Vereinigten Arabischen Emirate können dann mit unserem System super wassersparend und ohne Transportwege gesunde Nahrung produzieren.« Es ist das ressourcensparendste System für Pflanzen und Fische, denn die Pflanzennährstoffe werden den Fischen zugeführt und die Fäkalien der Fische düngen die Pflanzen. In einem Jahr kann man mit der Minifarm auf diese Art sage und schreibe 200 Kilogramm Gemüse und 60 Kilo Fisch produzieren.

Die Mega-Farm In den Gerstenbecken der alten Mälzerei werden sich bald Karpfen tummeln. 22 Fischbecken stehen auf den Dächern der Malzfabrik. Auf insgesamt 7000 qm soll spätestens in zwei Jahren Fischaufzucht und Gemüseanbau in einem geschlossenen Kreislaufsystem, Aquaponic, betrieben werden. 1/10 der Fläche soll der Forschung zur Verfügung gestellt werden, um die Effizienz des Systems zu steigern.

Bis kommenden Frühling bleibt die Aquaponic- Containerfarm geschlossen. Winterpause, Kostensenkung. »Im Winter müsste die Containerfarm beheizt werden, Karpfen brauchen ihre 15 Grad«, so Echternacht. Damit man die Farm auch bei eisigen Temperaturen nutzen kann, gibt es verschiedene Möglichkeiten: »Man könnte sie auf das Dach eines flachen Hauses stellen, das darunter eine Bäckerei hat, deren Abwärme man dann nutzen kann. Das gibt es zum Beispiel in New York.«

In Berlin nutzt man derweil die Winterpause, um an einer zweiten Version zu arbeiten, die viel günstiger werden soll und dabei höhere Erträge abwirft. »Das wird dann auch die Version, die wir tatsächlich unseren Kunden zum Kauf anbieten«, so der Pressesprecher der Dachfarmer. Und das kann jeder sein, der ein Plätzchen frei hat: Eltern, Senioren, Institutionen – alle, die sich umweltbewusst ernähren wollen. Und auch betreiben kann so eine Farm jeder. »Das System lässt sich leicht und schnell erlernen. Für Schulen ist das beispielsweise interessant. Um die Farm zu betreiben, genügt eine Person, die am Tag eine Viertelstunde Zeit hat, um nach Wasserwerten, Pflanzen und Fischen zu schauen. Schulgarten in modern – sozusagen.« Reizvoll könnte der Kräuterund Gemüseanbau per Aquaponic in naher oder ferner Zukunft auch für städtische Wohnprojekte mit eigenem Hinterhof werden. Wenn Version 2 erst einmal steht und wie angedacht weniger kostet und wesentlich mehr produzeirt, ließen sich damit sicherlich einige Hoffeste ausrichten. Nicht auszudenken, wie viel Potenzial in diesem kleinen Container steckt: Pensionäre, die das Aquaponicgärtnern für sich entdecken, Großstadtnomaden, die sich autark versorgen könnten, und nicht zuletzt die vielen Häuslebauer, die nicht nur ihre Öko-Kläranlage vor dem ersten Stein planen könnten, sondern eben auch die häusliche Grünversorgung.

Die 7.000 Qm große Dachfarm

Mit der Rostlaube klein anzufangen hat sich für »Frisch vom Dach« gelohnt. Echternacht sagt: »Man kann sie angucken, man kann sie anfassen, man kann da Tomaten essen – auf alle Fälle bis vor Kurzem, bis wir die geerntet und die Fische geschlachtet und gegessen haben. Was übrigens ich machen durfte, da ich der Einzige mit einem Anglerschein bin. Ich hatte zehn so zwei Kilo Karpfen vor mir liegen. Das war wirklich Handarbeit.«

Und der kleine Container hat inspiriert! Auf einmal stand die Idee: auf einer Gesamtfläche eines Fußballfeldes, 7000 qm, die weltweit größte Aquaponic- Dachfarm »Frisch vom Dach« zu verwirklichen. Das Gewächshaus soll auf einer Grundfläche von 4000 qm errichtet werden. »Auf der gleichen Höhe des Dachs befinden sich auf insgesamt 3000 qm 22 Fischbecken. Das waren früher, in der Zeit, als die Malzfabrik noch lief, die Becken, in denen die Gerste eingeweicht wurde. Die ganze Statik ist also schon vorhanden. Ein Fischaufzuchtexperte schaute sich das an und meinte, das Ding schreie danach, eine Aquaponicfarm zu werden.«

Echternacht kommt zu unserem Termin in einem schwarzen Club-Mini vorgefahren. Später wird er erzählen, dass er das Auto schon vor langer Zeit gekauft hat und seinen Benzinverbrauch »von 9,5 auf 7,2 Liter« senken konnte. Er sieht viele Möglichkeiten, klein anzufangen … nennt Beispiele wie Ökostrom beziehen, tägliche Fahrgemeinschaften bilden oder bei kurzen Wegen einfach mal wieder zu Fuß gehen. »Ich muss aufpassen, dass ich meiner Freundin damit nicht auf den Zeiger gehe. Wenn wir Tomaten kaufen und ich ihr dann sage, ist zwar Bio, aber nee, die nehmen wir nicht, weil die aus Spanien kommen«, sagt er. Der Dachfarmer ist überzeugt, dass es in den Köpfen der Menschen schon ein ökologisches Bewusstsein gibt, das man jetzt nur bedienen muss: »Es ist kurz vor zwölf, wir müssen uns beeilen, und das Gute daran ist, es tut gar nicht weh.«

Die Aquaponic-Dachfarm ist damit ein Paradebeispiel für den »Grünen Kondratjew«: Das ist ein sechster Wachstumszyklus, der Ingenieure und Investoren mit Innovationen ansteckt, ähnlich wie die Eisenbahn, der Strom oder das Internet. Durch Photovoltaik oder nachhaltige Ernährung soll die zerstörerische Wirkung vieler Wirtschaftszweige auf die Umwelt reduziert werden.

Auch zwischen »Frisch vom Dach« und Investoren laufen die Gespräche. Das Ziel ist dabei klar definiert: Klimafreundlich sein und nachhaltig gesunde Nahrung produzieren, und zwar ganzjährig. Lange Transportwege, Kühlketten, wachsende Energiekosten und die damit verbundenen stetig steigenden CO²-Ausstöße sollen minimiert werden. Ebenfalls ein Plus: Mit der Dachfarm sollen Arbeitsplätze geschaffen werden. »Wir brauchen Gärtner, Erntehelfer und Techniker. In vielen Bereichen können auch Menschen mit einem Handicap arbeiten.«

Wichtig ist den dreien, nicht mit Bio-Bauern vor Ort in Konkurrenz zu treten. Im Gegenteil, sie wollen eine Ergänzung auf dem Markt sein. »Genauso gut, wenn nicht noch frischer«, lautet ihre Devise. Dabei sind kurze Transportwege entscheidend. »Ein Teil der Ernte soll in einem hauseigenen Laden verkauft werden, der Transport ist gleich null, nur von oben nach unten«, sagt Echternacht. Der größere Teil der Ernte soll an die Supermärkte in den umliegenden Stadtteilen gehen. Die Berliner dürfen also gespannt sein. Und wir sagen: Essen gut, alles gut.

Aquaponic: Setzt sich zusammen aus Aquakultur (Fischzucht) und Hydroponic (Pflanzenzucht im Wasser) in einem geschlossenen Kreislaufsystem. Fischausscheidungen werden von Bakterien zu wertvollem Pflanzendünger umgewandelt und zu den Pflanzen geleitet, die durch Aufnahme der Stoffe das Wasser reinigen. Das fließt dann erneut zu den Fischen. Außer biologischem Fischfutter und ggf. zusätzlichen biologischen Mineralstoffen für die Pflanzen wird nichts anderes hinzugeführt.

  /  Permalink  /